Im Rahmen von Baufortschrittsprüfungen im Sinne des Bauträgervertragsgesetzes spielen Gerichts-Sachverständige in der Regel eine entscheidende Rolle. Doch wer unter „allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige für das Bauwesen“ zu subsumieren ist, wird im Gesetzestext nicht definiert und führt in der Praxis immer wieder zu Fragen.
Text: Thomas Mandl und Robert Rosenberger, Geschäftsstelle Bau
Gesetzliche Grundlage für die Tätigkeit des Baufortschrittsprüfers ist das am 1.1.1997 in Kraft getretene Bauträgervertragsgesetz (BTVG), das den Erwerber einer noch nicht errichteten Eigentumswohnung vor dem wirtschaftlichen Verlust seiner Vorleistungen insbesondere bei Insolvenz des Bauträgers absichern soll. Das BTVG statuiert für diese Zwecke unterschiedliche Arten der Sicherstellung. Bei der – in der Praxis häufigen – grundbücherlichen Sicherstellung spielt die Feststellung des Baufortschritts eine wesentliche Rolle, da die Absicherung vom Wert des Grundstücks und der bereits erbrachten Bauleistung abhängig ist. Dieser Wert steigt mit zunehmendem Baufortschritt.
Bestellung eines Treuhänders
Diesen Baufortschritt hat – nach der grundsätzlichen Systematik des BTVG – ein Treuhänder festzustellen, der vom Bauträger verpflichtend zu bestellen ist und der zwingend der Berufsgruppe der Rechtsanwälte oder Notare angehören muss. Das BTVG sieht weiters vor, dass der Treuhänder zur Feststellung des Baufortschritts auch einen „für den Hochbau zuständigen Ziviltechniker, einen allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für das Bauwesen oder eine im Rahmen der Förderung des Vorhabens tätige inländische Gebietskörperschaft beiziehen“ kann.
Von dieser (theoretischen) Kann-Bestimmung wird in der bauwirtschaftlichen Praxis regelmäßig Gebrauch gemacht. Rechtsanwälte und Notare sind jedenfalls Juristen, verfügen aber in den seltensten Fällen über eine bautechnische Ausbildung, die für die Feststellung des Baufortschritts jedenfalls notwendig ist. Aus diesem Grund – und schon allein aus Gründen der Vermeidung der Haftung – bedienen sich Treuhänder in der Regel eines fachkundigen Baufortschrittsprüfers, der dem Erwerber persönlich und unmittelbar haftet.
Bestellung eines Baufortschrittsprüfers
Den allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Bauwesen kommt in der praktischen Anwendung des BTVG also eine erhebliche Rolle zu. Alle Gerichtssachverständige sind in einer Gerichtssachverständigenliste „nach Fachgruppen und innerhalb der Fachgruppen nach Fachgebieten unter Anführung eines allenfalls eingeschränkten sachlichen Wirkungsbereichs“ eingetragen. Das im BTVG erwähnte „Bauwesen“ stellt eine solche Fachgruppe (Fachgruppe 72) dar und ist in 25 weitere Fachgebiete unterteilt. Doch nicht alle Sachverständige dieser Fachgebiete können nach dem Zweck des BTVG als Baufortschrittsprüfer herangezogen werden, sondern nur jene, die fachlich in der Lage sind, den Baufortschritt bei einem Wohnhausbauprojekt so weit zu prüfen, dass der Treuhänder die nächste Rate zur Zahlung freigeben kann.
Geeignete Fachgebiete der Gerichtssachverständigen
Zu diesen fachlich geeigneten Gerichtssachverständigen zählen – soweit unumstritten – jedenfalls jene des Fachgebiets 72.01 „Hochbau, Architektur“. Nur weil ein Sachverständiger des Fachgebietes 72.01 über besonders vertieftes Wissen im Bereich der Baukonstruktionen (z.B für die Analyse von Bauschäden) verfügt, bedeutet dies jedoch nicht, dass nur er allein das fachliche Privileg einer Baufortschrittsprüfung besitzt. Dazu ist genauso auch ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet 72.03 in der Lage (s. Zeitschrift „Sachverständige“, Ausgabe 4/2021). Sachverständige des Fachgebiets 72.03 (Kalkulation, Vergabewesen, Verdingungswesen, Bauabwicklung, Bauabrechnung) sind zwar primär auf kaufmännische und vertragliche Aspekte des Bauwesens spezialisiert, verfügen aber im Zuge dessen zwangsläufig über ausreichend bautechnisches Wissen für die Bewertung eines Baufortschrittes im Hochbau.
Fazit
Neben Ziviltechnikern für Hochbau zählen auch allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige für das Bauwesen zu jenen Personen, die im Sinne des BTVG zur Baufortschrittsprüfung berechtigt sind. Dazu zählen jene Gerichtssachverständigen der Fachgruppe 72, die fachlich in der Lage sind, den Baufortschritt bei einem Wohnhausbauprojekt so weit zu prüfen, dass es den Anforderungen des BTVG gerecht wird. Dafür kommen insbesondere Angehörige der Fachgebiete Hochbau und Architektur (= Fachgebiet 72.01) sowie Kalkulation, Vergabewesen, Verdingungswesen, Bauabwicklung und Bauabrechnung (= Fachgebiet 72.03) in Betracht.
INFO
Eine spezifische Suche von allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen kann online über www.justizonline.gv.at „Suche in den Gerichtssachverständigenlisten“ für die jeweiligen Fachgebiete, strukturiert nach Bundesland und Gerichtsstandort, erfolgen.