Judikaturwende im Bereich Arbeitskräfteüberlassung

In der Literatur wurde lange vermutet, dass die bisherige Judikaturlinie des VwGH zur Abgrenzung zwischen Arbeitskräfteüberlassung und Werkvertrag mit der Rechtsprechung des EuGH nicht mehr vereinbar ist. In einer aktuellen Entscheidung hat der VwGH auch tatsächlich eine Kehrtwende vollzogen.

Text: Dr. Christoph Wiesinger, Geschäftsstelle Bau

Die Unterscheidung zwischen Werkvertrag (Subunternehmer) und Arbeitskräfteüberlassung hat große praktische Bedeutung, weil den Beschäftiger deutlich strengere Pflichten treffen als den Auftraggeber. So muss beispielsweise der Beschäftiger bei der grenzüberschreitenden Überlassung die Lohnunterlagen vorhalten, während der Generalunternehmer bei einem Werkvertrag dazu nicht verpflichtet ist – selbst wenn der Subunternehmer entsandte Arbeitnehmer einsetzt.

Umso problematischer war die bisherige strenge Judikaturlinie des VwGH. Dieser hatte nämlich bisher in ständiger Judikatur die Ansicht vertreten, dass bereits die Erfüllung eines der vier in § 4 Abs 2 ArbeitskräfteüberlassungsG genannten Merkmale dazu führt, ein Vertragsverhältnis als Arbeitskräfteüberlassung – und damit nicht als Werkvertrag – zu werten.

Diese vier Kriterien sind:

  • Der vermeintliche Subunternehmer stellt kein Werk her, welches von dem, das sein Auftraggeber herstellt, abweicht oder unterscheidbar ist.
  • Der vermeintliche Subunternehmer arbeitet nicht vorwiegend mit eigenem Material und Werkzeug.
  • Der vermeintliche Subunternehmer ist organisatorisch in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert.
  • Der vermeintliche Subunternehmer haftet nicht für den Erfolg der Werkleistung.

Ein Schlachthof als Ausgangspunkt der Wende

Anlassfall für die Judikaturwende des VwGH war folgender: Ein österreichisches Unternehmen, das auf die Vermarktung von zerteiltem Fleisch spezialisiert war, vermietete eine Halle an ein ungarisches Unternehmen,das in dieser Halle mit eigenen Arbeitern und eigenen Werkzeugen 25 Rinderhälften pro Woche verkaufsfertig verarbeiten, verpacken und in weiterer Folge an den Vermieter liefern musste. Im Hinblick auf die strenge Judikaturlinie des VwGH deuteten die österreichischen Behörden diesen Vertrag prompt in eine Arbeitskräfteüberlassung um und verhängten Verwaltungsstrafen gegen das österreichische Unternehmen als vermeintlichen Beschäftiger.

Allerdings vertrat der EuGH bereits im Jahr 2015 eine andere Rechtsauffassung und wertete diesen Sachverhalt nicht zwingend als Arbeitskräfteüberlassung. Es sei vielmehr auf den wahren wirtschaftlichen Gehalt der Vereinbarung zwischen den Unternehmen – in diesem Fall also zwischen dem österreichischen Vermarkter und  dem ungarischen Schlachter – abzustellen. Auch hielt der EuGH fest, dass es völlig normal ist, dass ein Auftraggeber überprüft, ob die erbrachte Leistung der bestellten entspricht. Daraus könne somit noch nicht – so wie es zu diesem Zeitpunkt österreichische Behördenpraxis war – auf eine organisatorische Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers geschlossen werden.

Folgen für die Praxis

Die Finanzpolizei und die Verwaltungsgerichte hatten sich trotz dieser EuGHEntscheidung zunächst weiterhin an die Auslegungspraxis des VwGH gehalten und fleißig Umdeutungen von Werkverträgen in versteckte Arbeitskräfteüberlassungen vorgenommen.

In einer aktuellen Entscheidung schwenkt der VwGH aber dezidiert von seiner bisherigen Judikaturlinie ab und schließt sich ausdrücklich der Ansicht des EuGH an. Somit kommt dieser Entscheidung auch eine erhebliche praktische Bedeutung zu, denn die Behörden werden bei der Umdeutung von Werkverträgen in versteckte Arbeitskräfteüberlassungen nun ebenfalls deutlich gemäßigter vorgehen müssen.

Keine Auswirkungen auf den Lohnanspruch

Nur zur Klarstellung: Auf die Frage des Mindestlohns hat die Entscheidung keine Bedeutung. Auf österreichischen Baustellenhaben alle Arbeiter – egal ob überlassen oder nicht und ebenso egal, ob im Inland angestellt oder entsandt – Anspruch auf den kollektivvertraglichen Mindestlohn. Die wesentlichen Unterschiede zwischen grenzüberschreitender Überlassung und von Subunternehmen entsandten Arbeitnehmern betreffen administrative Vorschriften (z.B. Bereithalten von Lohnunterlagen), nicht aber die Frage der Anwendbarkeit des Bau- Kollektivvertrags. Dieser gilt nämlich sowohl bei Überlassungen als auch bei Entsendungen.

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